Assassine blieb zögerlich auf der Schwelle der Tür stehen und schaute Nite hinterher. Mit beinahe kindlicher Faszination beobachtete sie, wie der Sand um seine Füße wehte. Kleine, alltägliche Dinge, die für sie jedoch unbekannt waren. Woher sollte sie auch allzu viel darüber wissen ? Vorsichtig trat sie aus dem Lazarett hinaus, sah sich um wie ein nervöses Tier und ging dann schnellen Schrittes zu Nite. Man merkte ihr an, dass sie es nicht gewöhnt war, sich ohne Deckung und einem schweren Sturmgewehr oder sonstigen Waffen aus Gebäuden zu wagen.
Das ist Wahnsinn... was hast du vor, willst du in die Wüste ?

Mit übermütig blitzeden Augen dreht Nite sich um und lacht unbefangen, als er Assassines ungläubiges Gesicht sieht.
Hast du noch nie die Wüste bei Nacht gesehen? fragt er dann kopfschüttelnd.
Nun komm. Bis wir da sind wo ich hinwill, ist es ein weiter Weg. Und für eine Nacht hast du viel zu lernen!

Was hast du vor ? Nite, sag es !
fauchte Assassine ungehalten und sie lief hinter Nite her um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Sie war nervös, doch auch neugierig. Was hatte der Rescue vor ? Was wollte er in der Wüste ?
Was sollte ich schon in der Wüste lernen ?

Ich will nach White Sands. Auch wenn es da außer Sand nichts gibt... erwidert Nite, wird aber nicht langsamer, sondern läuft zielstrebig los.
In der Wüste? Die Wüste wird dir jetzt genau das beibringen, was ich dir nicht erklären kann! Außerdem hasse ich es, stupide rumzusitzen. Bist du noch nie spazierengegangen? Einfach logerannt, bis du nicht mehr konntest nur aus spaß an der Sache?

Nein, wann sollte ich auch... ich bin in diesem Körper gefesselt gewesen, da kann man nicht einfach so loslaufen, Nite.
antwortete Assassine barsch und heftig, doch dann riss sie sich zusammen und folgte Nite mit gleichen Schritten. Sie besah sich die Wüste und atmete tief durch. Langsam kühlte die Luft ab und es war schön, wunderschön in den Augen des weltfremden Schmetterlings. Die Sterne, der dunkle Himmel, das dämmrige Licht...
Wunderschön...

Die elementare Einfachheit, die alles Natürliche in sich trägt. Nite kichert und klettert nach einer ganze Weile in der Assa in ruhe die Wüste hat bewundern lassen, gewandt eine Düne hinauf.
Komm schon. Wenn du die Wüste schon magst wird dir das hier gefallen. Nite grinst und deutet dann auf den weißen Sand und die schneeartig wirkenden Dünen.

Assassine folgte Nite, doch ihre Gedanken strichen mit ihrem Blick über die Dünen. Als sie dann neben dem Rescue auf der Düne stand, ließ sie sich auf die Knie fallen, nahm zwischen ihre Hände den Sand und ließ ihn vorsichtig, als sei er ein lebendiges Tier, durch ihre Finger rieseln.
Es ist hier wunderschön... so still und ruhig. Nicht so, wie ich es nur kenne. Dunkelheit, Kälte, verworrene Gänge, die nirgens hinführen... Dies ist alles so real und wirkt doch so überirdisch schön...
Sie vergrub ihre Hände im Sand, spielte wie ein Kind mit den entstehenden Wellen und beobachtete die Sandkörner, wie sie von den Wellen runter rieselten.

Mag sein. Aber die Wüste ist wie wir. Sie hat so viele Gesichter wie wir... verstehst du? Es kommt darauf an wann und wie du sie siehst... auch wenn es immer nur ein Riesenhaufen Sand ist. Nite lässt sich rückwärts in den Sand fallen
Das ist das, was ich unter Relativität verstehe. Die findet sich nicht in Formeln und Büchern, sondern hier draußen. Manchmal eben schon in einer Handvoll Sand. Verstehst du mich jetzt besser? Warum ich eben kein Problem damit habe, euch beide zu sehen?

Assassine schaute Nite nachdenklich an, dann starrte sie gedankenverloren auf ihre Hände, durch denen gespreizte Finger sie immer wieder Sand rieseln ließ. Nite hatte Recht, der Vergleich war zwar verblüffend, aber er hatte etwas Wahren an sich. Sie nickte leicht und bewegte den Kopf leicht in Nites Richtung, ohne ihren Blick aber vom Sand zu lösen.
Also... würdest du uns beide akzeptieren... Aber trotzdem, es ist ein ewiger Kampf auf Leben und Tod, auf Beherrschen und Unterwerfen. Es geht einfach nicht, zwei Seelen in einem Körper... eine Seele muss nachgeben...

Ihr seid eine Seele. Das hast du selbst gesagt. Du warst in ihr und du wirst immer in ihr sein. Sieh mal. Nite nimmt zwei Handvoll Sand und lässt sie gleichzeitig auf den Boden rieseln.
Verstehst du es so? Man kann jetzt nicht mehr sagen, welches Korn aus meiner linken Hand kam und welches aus der rechten. Aber es sind immer noch zwei Handvoll Sand, genau wie vorher.

Assassine starrte auf den Sand und dann auf Nite. Dann schüttelte sie heftig den Kopf, sodass ihre grauen Haare wie feines Silber um ihren Kopf wirbelten.
Nein, Nite... du hast es schon erkannt, ich bin egoistisch... und ich werde mich nicht in Rucinas Seele zurückziehen und darauf hoffen, mit ihr vereint zu werden. Das kannst du vergessen. Ich habe jetzt das Leben errungen, das ich wollte, verlange bitte nicht von mir, dass ich es nun aufgebe. Nicht freiwillig. Es tut mir Leid.

Frieden...
Das Wort klang in Assassines Ohren fast wie ein Fremdwort. Nein, sie kannte keinen Frieden. Weder körperlich noch - wie Nite sagte - innerlich.
Inneren Frieden ? Sowas kann ich mir nicht vorstellen... Ich verstehe, dass es so etwas gibt. Aber alleine sich das vorzustellen ist schon schwer. Inneren Frieden wird es niemals in diesem Körper geben. Es wird immer ein Krieg in mir... in uns toben.

Ahhh, du kommst mir vor wie ein Kind, Ling. Wie kann man nur soviel Angst haben! seufzt Nite.
Kannst du dich nie auch nur für eine Nacht fallen lassen? Die Wüste ansehen, das Herzklopfen eines Kusses genießen oder einfach bloß ein Kaugummi kauen? Willst du denn ernsthaft immer so weitermachen, bis in alle Ewigkeit diesem Krieg ausgesetzt? Und ohne auch nur versucht zu haben, alles mal von meiner Seite aus zu sehen? NIte lächelt verschmitzt und zieht ein kleines Päckchen aus den Jeans.
Willst du's versuchen? Kuss oder Kaugummi? Ein kleines Glücksspiel quasi...?

Wie soll ich mich fallen lassen, Nite ? Wie Rúcina mich hörte, so höre nun ich sie am Rand meines Bewusstseins klopfen, schlagen, kreischen, wüten... Wie soll ich mich fallen lassen ? Was soll ich tun ?
Assassine sah Nite hilflos an, dann senkte sie ihren Blick auf das kleine Päckchen mit Kaugummi hinunter. Sie seufzte und zog die Beine an ihren Körper, umschlang mit ihren Armen ihre Knie.
Was soll das alles bringen...